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Jagdliche Geschichte in Wittenberg

Wittenberg und die Jagd –Vergnügen, Selbstdarstellung und Diplomatie im 16. Jahrhundert

Wald hoch

Anlass dieses Artikels ist die Vorstellung der Jagd als Mittel zum Zweck im späten Mittelalter, aber warum gerade aus der Sicht der Wittenberger Jäger? Das Jagdwesen hat im Mittelalter im damaligen Fürstentum Wittenberg-Sachsen, ja der werte Leser hat richtig gelesen, wir waren Sachsen, zur Weltgeschichte beigetragen.

 

In diesem Fürstentum wurde der Protestantismus durch das Wirken von Martin Luther „geboren“, diese Konfession ausgebaut und gefestigt, sein Kurfürst und Landesherr Friedrich der Weise aus dem Adelsgeschlecht der Wettiner, hier speziell der Ernestinischen Linie ebnete ihm dazu durch die Gründung der Universität Leucorea 1502 und dem relativen unzensierten Schaffen des Mönchen Luder, später des Fakultätsleiters Dr. Luther dazu die Möglichkeit.

 

Aber von vorne:


Unser besagtes Kurfürstentum Wittenberg-Sachsen war eines von vielen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen, der weltliche Herrscher war der Kaiser. Die erste überlieferte Gesetzgebung war die Goldene Bulle aus dem Jahre 1356 („das Grundgesetz des frühen Mittelalters“ d. Verf.). Demnach durften ausschließlich sieben Kurfürstentümer den Kaiser wählen, eines davon war Kursachsen. Bereits seit 1350 wurde dem Geschlecht der Wettiner das prestigeträchtige Amt des Erzjägermeisters zugeteilt. Damit durfte dieses Adelsgeschlecht im gesamten Reich jagen, sie übten die höchste Jagdgerichtsbarkeit im Reich deutscher Nationen aus. Mit dem Aussterben des Askanischen Herrschaftsgeschlechtes im 15. Jahrhundert wurde mit der Kurwürde in Wittenberg-Sachsen das Adelsgeschlecht der Wettiner beliehen.

Ernst als einer der beiden Brüder (der andere Bruder hieß Albert) aus dem Hause Wettin beherrschte somit auch den Wittenberger Bereich des Kurfürstentums. Mit seinem Ableben übernahm sein Sohn Friedrich III („der Weise“ genannt) die Amtsgeschäfte von seinem Vater mit dem damit verbundenen ungeahnten intellektuellen, kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung des Kurfürstentums ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts.

 

Der Funktion als Erzjägermeister gab Friedrich der Weise Ausdruck durch die Errichtung mehrerer Jagdschlösser und sogenannter „Tiergärten“, hier sind vor allem zu nennen die Lochauer Heide (heute Annaburger Heide) sowie die Seydaer Heide (heute Glücksburger Heide) im östlichen Teil des heutigen Landkreises Wittenberg. Im Jagdschloss Lochau soll sich Friedrich am liebsten von seinen Schlössern aufgehalten haben, dort verstarb er auch 1525. Um 1500 erließ Kaiser Maximilian eine neue Jagdlade, heute sagt man ein neues Jagdgesetz. Das Erlegen von Wild war ab diesem Zeitpunkt ausschließlich dem Hoch- und dem Niederadel vorbehalten, der einfache Bauer durfte nicht einmal mehr Rebhühner und Fasane jagen, er musste dulden, dass durch die Überpopulation an Wild seine Felder zertrampelt und die Ernte abgefressen wurde. Die zuvor ausgeübten Jagdformen der Einzeljagd auf das Wild zu Fuß oder auf dem Ross mit kalter Waffe entsprach nicht mehr den höfischen Vorstellungen, mit der Einzeljagd sollte sich der Adlige für den Kampf Mann gegen Mann als Kriegsvorbereitung, wie es damals üblich war, schulen. Mit dem Aufkommen erster kriegstauglicher Handfeuerwaffen, dessen Benutzung am Anfang ausschließlich dem Hochadel vorbehalten war, konnte Distance zum Gegner, hier ersatzweise dem Wild, gehalten werden.

 

Aus der Einzeljagd entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit die Hofjagd. Das Wild wurde gezüchtet, vor den Jagden des Adels zusammengetrieben und den Adelsherren vor die Waffen geschickt. Das Jagdgeschehen betrieben ausschließlich Männer, die Adelsdamen durften als schmückende Elemente der Jagdstrecke beiwohnen. Die Jagd diente repräsentativen Zwecken, je mehr Wild gestreckt wurde, desto höher war das Ansehen des Jagdherrn. Hohe Strecke an Wild zeugte von Reichtum, einer intakten und produktiven Umwelt im Kurfürstentum sowie hoher Freigiebigkeit des Gastgebers. Diese Jagden wurden meist im August bzw. September des Jahres ausgetragen, da in dieser Jahreszeit der Hirsch feist war. Es sind Jagdstrecken von mehr als 1000 Wildtieren pro Jagd bekannt. Nicht benötigtes Wildbrett wurde vernichtet, um nicht das gemeine Volk in Versuchung zu führen. Diese Form der Ansitzjagd bot aber auch den Vorteil, den Jagdherren, also den für das Regieren unabdingbaren Kurfürsten, zu schützen vor den zur damaligen Zeit zum Alltag gehörenden Jagdunfällen.

 

Das Sammeln und Aufbewahren von Jagdtrophäen war zunächst verpönt, als Jagderinnerung diente ausschließlich die ausgelegte Jagdstrecke, aufgenommen durch die Hofmaler, in Holzdruckstempel geformt, danach durch einfachen Druck vervielfältigt und den Jagdteilnehmern im Anschluss als Druck überreicht bzw. nachgesandt. Im Kurfürstentum Wittenberg-Sachsen hatten diese Funktion des mittelalterlichen „Fotografen“ Lucas Cranach der Ältere und der Jüngere inne. Cranach der Ältere wurde auch der „schnelle“ bzw. der „flinke“ Maler genannt, Jagdmaler waren aus besagten Gründen ständig bei jeder Hofjagd anwesend. Nach jüngsten Erkenntnissen kommt die Fachwelt zu der Annahme, dass die Cranach’sche Werkstatt mehr Jagdmotive und –szenen schuf als weltliche oder religiöse Bilder /2/. Neben den Hochadelsjagden auf den Jagdschlössern wurden parallel dazu Zurschaustellungsjagden, meist in den damals aufblühenden Städten durchgeführt. So erklären sich Malereien aus der Cranach’schen Werkstatt von Jagdszenen auf dem Marktplatz von Wittenberg. Diese Jagdszenen dienten überwiegend der Machtdemonstration des Fürsten sowie der Unterhaltung bzw. Belustigung der ausdrücklich als Zuschauer gewünschten teilnehmenden Städter und des niederen Volkes, hier vor allem Bauern und Tagelöhner. Mit einer Jagd, wie wir es aus heutiger moralischer und ethischer Sicht beurteilen, hatten diese jahrmarktartigen Spektakel nichts mehr zu tun.

 

Es verwundert nicht, dass es auf den Jagdschlössern der Ernestiner, zu nennen sind hier insbesondere die Lochau (Annaburg) oder das Seydauer Revier (heute Glücksburg) insbesondere ab ca. 1525 verstärkt zu Jagden der bereits zum Protestantismus zugewandten Landesfürsten geladen wurde. Die dem Evangelismus Lutherischer Schule zugewandten Kurfürstentümer formierten sich unter Philipp von Hessen als Gegenpool zum Katholizismus zum Schmalkaldischen Bund, genannt nach dem endgültigen Gründungsort im Jahre 1531.

 

Die protestantischen Landesherren trafen sich als Tarnung vor dem katholischen Kaiser des Römischen Reiches deutscher Nationen unter dem Vorwand, eine höfische Vergnügungsjagd durchzuführen auf den Jagdschlössern der Ernestiner. Am Tage wurde der Jagd gefrönt und am Abend bei Kerzenschein wurde im diplomatischen Stil der Schmalkaldische Bund geschmiedet. Dieser Glaubensdisput gipfelte dann im Schmalkaldischen Krieg mit dessen jähem Ende des Krieges und dem Ende der ernestinischen Herrschaft bei der Schlacht von Mühlberg im Jahre 1547 unweit des Jagdschlosses Lochau. Die beweglichen Güter des letzten Kurfürsten Johann Friedrich (der Großmütige) wurden in der Nähe von Annaburg von den kaiserlichen Truppen bei dem Versuch ihrer Auslagerung konfisziert. Ein Gedenkstein erinnert heute noch daran. Die Wittenberger Ländereien und Jagdreviere wurden als Folge des Kriegsausganges dem Herzogtum Sachsen angegliedert, der protestantische Moritz von Sachsen wurde Kurfürst. Er paktierte jedoch zu dieser Zeit noch mit dem katholischen Kaiser Karl V. Die Jagdschlösser um Wittenberg wurden weiterhin für die Höfische Jagd, jetzt unter Moritz genutzt. Um 1550 wurden wiederum vermehrt Höfische Jagden protestantischer Fürsten in der Lochauer Heide abgehalten. Sie begehrten auf gegen die Reichspolitik von Kaiser Karl.


Gleiche Szene, gleiches Ziel: Mit Diplomatie und Verhandlungsgeschick sammelten sich nach lustvoller Jagd die Landesherren, um über die konfessionelle Gestaltung des Reiches zu diskutieren. Letztendlich mündeten diese vorbereitenden Verhandlungen 1555 im Augsburger Religionsfrieden (Der Landesherr bestimmt die Religion in seinem Herrschaftsbereich). Aber die Zorneswolken des einfachen Volkes, insbesondere der Bauern, brauten sich gegen diese Jagdart bereits zusammen. Der vierte Artikel von zwölf des Programmes der aufständischen Bauernschaft trugen schon den Keim, hier noch aus wirtschaftlichen Aspekten heraus, in sich, der Jahrhunderte später zu unserer heutigen Jagdorganisation und –art führte: „Ist es unbrüderlich und dem Wort Gottes nicht gemäß, dass der arme Mann nicht Gewalt hat, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Gewalt über alle Tiere, den Vogel in der Luft und den Fisch im Wasser gegeben.“ Zitat Ende dieses erste Aufbegehren endete bekanntlich mit ihrem Höhepunkt der Schlacht bei Mühlberg im Bauernkrieg 1525. Bis zur Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 sollte es noch dauern, bis diese Jagdform endgültig der Vergangenheit angehörte.

 

I.W.

Was es mit dem „Guten“ und dem „Schönen“ auf sich hat!

Jagd ist Naturschutz1987, die Anspannung war mit der Veröffentlichung des sozialistischen Abschussplanes für den Damwildbestand in unserem ca. 2600 ha großen Jagdgebiet noch nicht ganz gewichen. 12 Jäger sollten mit 6 Waffen, davon 3 Flinten, neben den anderen Schalenwildarten 47 Stück Damwild strecken, darunter zwei 1-er Schaufler. Wem würde der Jagdleiter diese beiden Hirsche wohl in diesem Jahr zusprechen?

 

Nun, es war Anfang Mai und Opa Wildgrube, nunmehr weit in den 80-ern, wurde in seinem hohen Alter emsig. Alle mussten helfen, eine baufällige, seit Jahren nicht mehr genutzte Kanzel zu erneuern und Schussschneisen mit der Handsäge auszuästen. Ihm war also einer der Schaufler zugesprochen worden.

Dann war Ruhe an der Kanzel, keiner durfte sie nutzen, Opa Wildgrube bestieg sie auch nicht.

 

Mit der Mondwende im Oktober hielt es dann den Opa nicht mehr hinter dem Kachelofen. Wir beobachteten auch, dass er gegen einen kleinen Obolus von den Kindergartenkindern Kastanien sammeln ließ und sie in seiner Scheune hortete. Diese brachte er dann ab Ende Oktober 50m entfernt von besagter Kanzel aus.

 

Es wurde der Grund nie offiziell benannt, aber Opa Wildgrube erhielt von den Leihwaffen ausschließlich eine überlange Doppelflinte mit einer Ziel-4-Optik, die den liebevollen Kosenamen „Silberbüchse“ trug. Irgendwann hatte jemand in der mehr als 30 Jahre langen Betriebsdauer den Schaft mit Messingnieten verziert.

In diesen jeweils drei Tagen Ausleihdauer hatten wir anderen Jäger unsere Aufgabe, Opa Wildgrube bei der Jagdausübung zu begleiten – auch eine Anordnung vom Jagdleiter.

 

Es war Mitte November, Opa Wildgrube wurde langsam unruhig und drängte vermehrt darauf, die Silberbüchse auch außerhalb unseres Ausleihplanes zu erhalten.

Ich holte Opa Wildgrube an einem diesigen und kalten Tag mit dem Trabi so gegen 15.00 Uhr ab – unser Ziel: die Kanzel mit den Kastanien.

Nachdem ich Opa Wildgrube auf die Kanzel geschoben und in seinen mottenzerfressenen Schafspelz eingemummelt hatte, war Ruhe angesagt. Zwischen dem Pelzkragen und seiner Pelzkappe sah ich nur noch eine rote Nase hervorschauen, an der ein kleines Tröpfchen hing. Sobald ich mich rekelte, traf mich von der Seite ein strafender Blick.

Da, endlich bewegte sich etwas im Bestand. Ein Rudel Kahlwild betrat die „Kastanienbühne“ und tat sich gütlich. Es wurde schon langsam grau – kein gutes Licht für ein Ziel 4-Fernrohr.

Nach etwa 10 Minuten Bühnenbild schreckte das Leittier auf und ab ging die Post. Was war geschehen? Der Wind stand doch gut!?

 

Opa Wildgrube wurde unruhig und rutsche auf seinem als Sitzkissen dienenden alten Sack hin und her.

Und da, wie von Geisterhand geführt, betrat im letzten Flintenlicht ein Schaufler die Kirrung. Ich brauchte kein Fernglas, um zu erkennen, dass hier ein reifer „medaillenträchtiger“ Schaufler etwa 50m vor uns stand.

Von mir unbemerkt hatte Opa Wildgrube die Flinte längst entsichert und gestochen - der Schuss brach und dem Schaufler blieben noch fünf Gänge auf der „Kastanienbühne“.

 

Ich schaute nach rechts, der Tropfen an Opas Nase war verschwunden und der ganze Schafspelz bebte.

Was sagt man in so einem Augenblick? Auf „Weidmannsheil“ kam ich in dieser adrinalingeschwängerten Atmosphäre nicht. Ich sagte in meinem jugendlichen Leichtsinn „Das ist aber ein schöner Schaufler.“

 

Opa Wildgrube überlegte etwa eine halbe Minute, drehte sich zu mir um und sagte: „Mein Junge, das ist ein juter (guter – Anmerkung des Verf.) Hirsch, nur Frauen sind schön!“

 

 

I.W.